Den Ärmelkanal durchschwommen

vasanti-niemz-okt-2010.jpgAm 9. September 1985 ergab es sich – Zufall oder höhere Macht? - , dass ich als erstes Mitglied des internationalen Sri Chinmoy Marathon Teams erfolgreich den Ärmelkanal durchschwamm - nach kaum viereinhalb Monaten Training. Ein Jahr zuvor hatte es schon ein Teamkollege versucht, der ein viel besserer Schwimmer war – ein deutscher Jugend-Vizemeister - aber er scheiterte an der Kälte. Ein anderer Meditationsschüler Sri Chinmoys, der ebenso wie ich Ende April 1985 mit dem Training begonnen hatte, durchschwamm den Kanal nur einen Tag nach mir, in einer schnelleren Zeit, obwohl er im Training immer langsamer war. Sein "Pilot" (d.h. der Kapitän des Begleitbootes) wollte noch einen Tag warten in der Hoffnung auf bessere Wetter- und Strömungsbedingungen.

Für mich war der Ärmelkanal eine sehr, sehr spezielle Erfahrung. Besonders während des Schwimmens selbst, aber auch schon in der Zeit vorher, erfuhr ich sehr stark nicht nur die äußere, sondern auch auch die innere Unterstützung und Anteilnahme so vieler meiner Meditationsfreunde und TeamkollegInnen auf der ganzen Welt, die um die Herausforderung wussten. Mein Meditationslehrer Sri Chinmoy, auf dessen Inspiration hin das Abenteuer Ärmelkanal in unserem Team überhaupt erst lebendig wurde, hatte während der Vorbereitung auf vielfältige Weise Unterstützung, Motivation und Trainingshilfe gegeben. Wie ich von einer Freundin später hörte, saß er auch während meines Schwimmens die meiste Zeit über in seinem Haus in New York und meditierte auf mich und meine Herausforderung. Gleichzeitig stand er über Helfer regelmäßig im Kontakt mit meinem Belgeitboot, um Informationen zu erhalten, wie es mir ginge. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, dass mir die Kanaldurchquerung so extrem "leicht" fiel und innerlich eine so spezielle Erfahrung wurde – ich betrachte das als ein großes Geschenk oder einen großen Segen.

Als ich um sieben Uhr morgens am berühmten Shakespeare Beach, von dem damals alle Kanalüberquerungen von England nach Frankreich starteten, nach einigen Momenten innerer Sammlung ins Wasser watete, hatte ich vollstes Vertrauen, dass ich es schaffen würde. Die ersten beiden Stunden waren die schwierigsten - in Anführungszeichen - da hier die Gedanken noch sehr aktiv waren. Danach stellte sich allmählich ein wunderschöner Flow ein, und die Zeit von einem "Feed" zum nächsten verging wie im Flug. Nachdem ich sechs Stunden geschwommen war, konnte ich beim nächsten Fütterungsstopp beide Küsten sehen, ich hatte geografisch betrachtet die Mitte des Ärmelkanals erreicht – und ich hatte das klare Gefühl, dass es auf einer inneren Ebene bereits geschafft war. Ich musste nur noch zu Ende schwimmen. Die meiste Zeit über fühlte ich mich getragen von einer Welle innerer Freude, die zum Teil an Seligkeit grenzte. Ich genoss den Rhythmus des Atems und der Kraulzüge und den Tanz der Sonnenstrahlen im türkisfarbenen Wasser und den blauen Himmel über mir.

Nach etwa elf Stunden begann die Gegenströmung einzusetzen, die Sonne ging unter und allmählich wurde es dunkel. Vorher hatte ich mir nicht vorstellen können, in der Dunkelheit zu schwimmen. Ich hätte es nie gewagt, in der Nacht in pechschwarzes, unbekanntes Wasser zu steigen. Jetzt aber, beim langsamen Übergang in die Nacht, fühlte ich mich geborgen und sicher. Bei jedem Atemzug blickte ich in den sternenübersäten Himmel über mir. Und wenn ich nun in das schwarze Wasser hinab blickte, begann ich vor mir ein helles Licht zu sehen, in das ich buchstäblich hineinschwamm. In der Mitte der Dunkelheit erschien wie ein strahlendes Licht – das  "Transzendentale" Bild Sri Chinmoys, das ihn nicht als Person, sondern vielmehr ein hohes Meditationsbewusstsein zeigt.

Erst hieß es, ich könne es eventuell in 12 Stunden schaffen, aber wie so oft im Kanal machte die Strömung daraus noch eine Stunde und noch eine Stunde und noch eine … aber es machte mir nichts aus. Zum Glück wusste niemand, dass ich noch fünf weitere Stunden zu schwimmen hatte, bevor meine Füße französischen Sand berühren würden! 12 Stunden war ich schon im Training geschwommen, jetzt darüber hinaus zu gehen, gab sogar neue Motivation. Und so schwamm ich in den letzten Stunden von Fütterung zu Fütterung in dieses unendliche Bewusstsein von Licht und Wonne hinein, das ich immer vor mir sah, wie ein sich ständig transzendierendes Ziel.

Vasanti Niemz (Heidelberg)

Im September 2010 durchschwamm Vasanti als erste deutsche Frau solo und ohne Neoprenanzug zum zweiten Mal den Ärmelkanal, fuhr danach 300 km mit dem Rad und lief zuletzt zwei Marathons. Ein  Ärmelkanal-Triathlon Dover-Brüssel-Aachen war so zu sagen geboren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte darüber ein Interview mit ihr. Einen ausführlicheren Bericht von Vasanti über ihre Erfahrungen mit dem Ärmelkanal im Jahr 1985 können Sie hier lesen.

 

 

Cross-posted from de.srichinmoycentre.org